Transalblust VII

Von Heidenheim nach Nördlingen

„Eine Niete ist immer dabei“, pflegt ein guter, radlerfahrener Kollege immer zu sagen. Meine Laune geht heute Morgen gegen Null. Mein Hotel liegt in der Innenstadt von Heidenheim, was per se gut und gewollt ist. Dass bis weit nach Mitternacht direkt vor meinem Fenster die Poser tösen und Jallah-Jallah-Rap aus offenen, schwarzen BMWs dröhnt, ist nicht gut und eine Zumutung. Man darf es nicht sagen, ich tue es trotzdem. Die adrenalingestörten Neubürger hängen hier überall in Gruppen junger Männer ab. Geht man durch die Stadt, wird man ständig beobachtet. Als ich kurz die Hauptstraße verlasse, kommt mir gleich ein zugedröhnter Mittelmeer-Geschädigter entgegen und labert mich voll. Sehr unangenehm und weit entfernt von Urlaubsstimmung.
Immerhin entspinnt sich heute morgen in meinem vom Besitzer eines türkischen Schnellimbiss geführten Hotel eine angeregte Unterhaltung auf höchstmöglichem Niveau:
„Du Fahrrad?
„Ja“
„Spazieren?“
„Nein Nördlingen“
„Oh, weit“
„Ja“
Ich will mich in dem Land, in dem ich lebe, einfach anders unterhalten. Ist das zu viel verlangt? Mein Fahrrad steht in einer verschlossenen Garage und niemand versteht mich, als ich darum bitte, aufzuschließen. Gerade als ich drohe, die Contenance zu verlieren, kommt der Chef.
„Hier Schlüssel.“
„Danke, tschüss“
Ich verlasse Heidenheim, nicht ohne 2 Mal von einem Aggro-Audi geschnitten zu werden. Was stimmt hier nicht? Ich fürchte, ich kenne die Antwort.

Lange fahre ich durch Wald und Felder, steil bergauf und bergab. Schließlich muss ja auch der Kraterrand des Nördlinger Ries überquert werden. Die Anstrengung und die frische Luft tun mir gut. Es gibt kaum Infrastruktur in dem dünn besiedelten Härtsfeld auf der Ostalb.

Schließlich komme ich nach Neresheim. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich von dem Ort vor dieser Tour noch nie etwas gehört hatte. Schade eigentlich. Der Ort an sich ist sicher einer von vielen, die dortige Benediktinerabtei nicht. Schon von Weitem erkennt man die große Anlage auf dem Ulrichsberg.

Die Kirche ist ein Spätwerk von Balthasar Neumann. Wer in einem Gymnasium in Hof an der Saale war, so wie ich, kennt den Herrn natürlich. Hat er doch im Norden Bayerns ganz viel Eindrucksvolles wie die Residenz in Würzburg und die Basilika Vierzehnheiligen und v.m. geschaffen. Jährliche Schulausflüge führten nie an ihm, einem der bekanntesten Baumeister des Barock, vorbei. Die Abteikirche wird als „erschütternd großartig“ bezeichnet und zählt zu den bedeutendsten Kirchenbauten des Spätbarock. Ich bin gespannt.

Ich werde nicht enttäuscht. Ich bin mal wieder ganz allein in der Kirche. Die Deckenbemalung ist wirklich eindrucksvoll.

Hier sind alle gleich.

Die Äbte sind gleicher.

Ich möchte dem Tipp jenes guten Kollegen, 2 besondere Orte zu besuchen, folgen. Daher biege ich ein paar Kilometer vor Nördlingen von der Route ab.

Richtig gute Tipps sind die, die noch viel bessere nach sich ziehen. So auch heute. Unmittelbar hinter der ersten Kurve nach dem Abbiegen, rechts, eine Bäckerei. Davor ein Schild: „Heute warmer Leberkäse“.

Es folgt eine Vollbremsung bis die Scheiben glühen.

An dem einzigen Tisch vor der Bäckerei sitzt ein Leberkäsebrötchen mampfender Radler, der mich sofort an seinen Tisch winkt. Anscheinend ein Frauenversteher! Schnell mampfen wir gemeinsam.
Als ich auf die obligatorische Wo-kommste-her-Frage „aus Heidenheim“ antworte, sind wir sofort in eine „Das darf man eigentlich nicht sagen“-Unterhaltung vertieft. Wir sind uns in allen Punkten einig, auch darin, dass man es irgendwann sagen MUSS.

Später stellt sich heraus, dass ich mit einem der beiden Türmer von Nördlingen am Tisch sitze, also mit einer der bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt, den sicher jeder Nördlinger/in kennt.
Er ist der, der immer vom Turm in der Nördlinger Altstadt „So Gsell so“ ruft, aber jetzt im Urlaub ist. Wie cool ist das denn! Die Geschichte geht so:
Man sagt, 1440 wollte eine Frau am Abend für ihren Mann eine Kanne Bier besorgen. Am Löpsinger Tor beobachtete sie, wie eine entlaufene Sau ihr Hinterteil an einem Torflügel rieb. Dabei entdeckte sie, dass das Tor nicht fest verschlossen war. Ihr empörter Ruf „So, G‘sell, so!“ galt den treulosen Wächtern. Diese gestanden, vom Oettinger Grafen bestochen worden zu sein, in der Nacht das Tor nur angelehnt zu lassen, damit der Graf mit seiner bewaffneten Schar die Stadt erobern könne. So hatte eine Sau Nördlingen gerettet. Keiner weiß, ob es so gewesen ist. Wahr ist aber, dass 1440 zwei Torwächter wegen Verrats hingerichtet wurden.

Seit dem rufen die Türmer jeden Abend „So, G‘sell, so!“ vom Turm, um die Stadt zu sichern.
Viel erzählt er mir von seinem Beruf und wir ordnen auch noch ein bisschen die Welt neu. Die Bäckersfrau muss uns zu ihrer Mittagspause rauswerfen, so nett ist es.
Ich fahre weiter zu meinem Tipp und der Türmer türmt auch ( 🙈 oh weh- Flachwitz)

Zuerst radle ich durch das burgengesäumte Kartäusertal nach Christgarten zu einer ehemaligen Mönchsklause der Kartäuser. Das sind ja die ganz Strengen, die ganz abgeschieden leben.

Dann geht es zu einer Gedenkstätte für den 30-jährigen Krieg auf dem Albuch, wo die Schlacht von Nördlingen, eine der größten Schlachten dieses Krieges, verloren wurde.

Warum spanische Tercios ihre Schmierereien hier hinterlassen müssen, erschließt sich mir wieder mal nicht.

Von dort hat man einen wunderbaren Blick über das komplette Ries.

Steil geht es hinunter nach Nördlingen. Liegt die Stadt doch am Grund eines vor 15 Mio. Jahren durch einen Asteroideneinschlag entstandenen kreisrunden Kraters mit 20-25 km Durchmesser..

Nördlingen hat eine komplett erhaltene Stadtmauer von 2,7 km und man kann herumspazieren.

Alle Stadttore sind erhalten/renoviert und die Altstadt ist ganz zauberhaft, besonders das Gerber- und Färberviertel.

Sehr stolz ist man auf Gerd Müller, der hier geboren ist.

Der Arbeitsplatz des Türmers.

Ich bin angekommen und ergattere eine Liege im „Wohnzimmer“ von Nördlingen, auf der ich lange verweile und die 8 Tage der Tour Revue passieren lasse. Das hab ich verdient.

Natürlich soll es auch noch ein Fazit geben.

440 km mit vielen Höhenmetern durch Mittelgebirgslandschaft. Ich bin auf grandiosen Radwegen an der Donau, an der Lauter und im Lonetal geradelt. Es gab jeden Tag mindestens ein Highlight, was mir ein „Wow“ entlockt hat und ich habe die Feinheiten meines Heimatlandes wieder ein bisschen besser kennengelernt. Radelt man die Tour mit Gepäck, ist sie echt anstrengend und ich war immer wieder heilfroh, dass mein Radl einen Motor hat. Die Strecken waren mit 50-70 km relativ kurz, aber absolut ausreichend für das Gelände und den Untergrund. Die Streckenführung war toll, aber beim nächsten Mal mache ich einen ganz großen Bogen um Heidenheim.
Schön war’s und die Deutsche Bahn braucht für meine Heimreise diesmal nur 5 Stunden.

Transalblust VI

Von Dornstadt nach Heidenheim an der Brenz

Mit einem lauten Miau werde ich heute morgen in Dornstadt verabschiedet.

Nachdem die mich gestern gekratzt und gebissen hat, als ich sie streicheln wollte, muss sie jetzt leider mit verbaler Zuwendung vorlieb nehmen.
Das Navi-Problem ist gelöst. Es hat alles gleich funktioniert, nachdem ich eine App heruntergeladen, alle Rechte freigegeben, die gpx- Datei runtergeladen, die Bluetoothverbindung eingerichtet und das Ganze ca. 10 Mal synchronisiert habe.
Los geht’s jetzt also völlig unaufgeregt. Es ist kühl und die Spuren der Unwetternacht sind hier zum Glück gering.

Ich radle durch kleine Dörfer ins Lonetal.

Dann das.

Der Nachbar erzählt mir, die liegt da immer und wartet auf jemanden, der sie streichelt.
„JA, hallo hier bin ich!“
Ausgiebig hole ich bei der Schmusebacke nach, was mir die kleine Kratzbürste verwehrt hat. So süß.

Dann beginnt stundenlanges Genussradeln vom Feinsten. Das Lonetal ist eines der längsten Trockentäler Deutschlands und eines der interessantes Geotope. Völlig verkehrsfrei und ohne große Steigungen geht es dahin.

Und alles geht ein bisschen langsamer. Sehr erholsam.

Ok, einige Hindernisse hat die letzte Nacht hinterlassen.

Hier muss ich erst mal aufräumen oder alternativ durch hüfthohe Brennnesseln stapfen. Ich entscheide mich fürs Aufräumen.

Die Lone war einst ein mächtiger Fluss, der in der Gegend des Schwarzwaldes entsprang und erst am heutigen Alpennordrand in die Tethys mündete. Im Tal dieser Ur-Lone siedelten sich unsere frühesten Vorfahren an und schnitzten aus den Stoßzähnen von Mammuts einzigartige Elfenbeinfiguren, die als eine der ältesten Kunstwerke der Menschheit gelten. Aufgrund der herausragenden Bedeutung dieser Kunstwerke wurden die Höhlen des Lonetals 2017 zum UNESCO Welterbe ernannt.

Auf einer ziemlich unergiebigen kleinen Wanderung begegnet mit eine Höhlenhyäne.

Eine der vielen Höhlen besichtige ich, wenngleich mir das ein bisschen unheimlich ist. Kaum hat man sie betreten, ist es totenstill und man hat auch Bärenknochen gefunden…..

Da radle ich doch lieber.

Und friedlich grast ein Mammut im Lonetal

Auf ein Eiscafe Venezia braucht man hier nicht hoffen. Ich komme aber am Hofladen einer Bio-Kooperative mit frozen Joghurt vorbei. Sehr lecker, wären nur nicht die 100000 Fliegen gewesen. Bio halt.

Gestärkt und erfrischt radle ich zum nächsten Highlight, zu den Steinformationen im Eselsburger Tal. Besonders begeistert mich, dass ich hier allein bin. Das ist nicht selbstverständlich.

Weiter geht die wilde Fahrt jetzt im Tal der Brenz. Die Domaine Falkenstein liegt oben auf dem Fels. In der Tourbeschreibung von Transalblust steht, dass die Auffahrt etwas Selbstquälerisches hat und die Aussicht unwiderstehlich ist.

Wer das eine will, muss halt das andere tun, denke ich. Kurz überlege ich, das Gepäck vielleicht unten im Gebüsch zu verstecken, aber das Risiko ist mir zu groß.
Wofür habe ich den großen Zahnkranz, wenn nicht dafür. Mit ein wenig Anlauf geht es also los. Mein Radl wühlt sich tief in den steilen nassen Schotter. Das Gepäck zieht so nach hinten, dass das Vorderrad abhebt. Ich werfe mein ganzes Gewicht ( zum Glück hat die Diät noch nicht angefangen) auf den Vorderreifen. Wenn ich jetzt anhalten muss, hab ich verloren.
Knie an Hirn: „WARUM????“
Hirn an Knie: „Weil es da oben schön ist! Halte durch!“
Ein mitleidig lächelnder Herr kommt mir entgegen und springt ein bisschen zur Seite. Danke! Wir wühlen uns hinauf. Über den Rückweg denke ich später nach.
Oben sehe ich als erstes, was der Sturm heute Nacht angerichtet hat.

Es gibt aber auch einen Aussichtspunkt, der mir wieder mal ein begeistertes „Wow“ entlockt.
Hirn an Knie: „Siehste!“

Der Rückweg entpuppt sich als harmloser als befürchtet, da das Gepäck jetzt verhindert, dass sich das Vorderrad eingräbt. Unten auf dem Felsen entdecke ich auch noch Steinzeithyänen.

Aufregende Gegend hier.
Weiter geht es jetzt direkt nach Heidenheim. Ich mag solche Anblicke ja schon von Berufs wegen. Heute mag ich sie, weil sie hinter mir liegen.

Ich habe wirklich Lust, die Weltstadt Heidenheim zu besichtigen, aber eigentlich gibt es nichts zu sehen. Sie hat mit den schönen Städtchen in der Umgebung wie Dinkelsbühl, Schwäbisch Hall oder Donauwörth nichts gemein. Das ist nicht meine Stadt. Das einzig Interessante ist das Schloss hoch über der Stadt.
Hirn an Knie: „Bleib ruhig, wir bleiben unten.“

In der Stadt gibt es gefühlt 10 Prozent Deutsche und daher heute internationale Küche

Transalblust V

Von Ehingen nach Dornstadt

Wenn der Radlweg ein bisschen belanglos ist, kann man sich ja anderweitig unterhalten. Heute wollte ich früh los wegen der Hitze und früh ankommen wegen der Gewitter. So der Plan. Leider ließ sich das Navi nicht mit dem Notebook verbinden. Meine Bemühungen waren erfolglos und haben viel Zeit gekostet. Dann muss ich eben mit dem Handy navigieren. Ich verabschiede mich mit einem letzten Panorama von Ehingen und radle los.

Ich bin froh, als ich aus Ehingen hinaus und wieder in der Natur bin, wenngleich der Weg eher unspektakulär ist.

Dann kommt endlich wieder ein schöner Felsen. Was steht davor? Ein Dixieklo!!!

Erst auf den 2. Blick realisiere ich, dass es ein Kletterfelsen ist. Wenn ich da rauf klettern müsste, bräuchte ich kein Dixieklo, sondern eher Windeln.

Der Weg wird nicht schöner, dafür wird es immer heißer. Das Navigieren mit dem Handy funktioniert. Ich habe aber leider keine Handyhalterung am Fahrrad. Also muss es mit Sprachsteuerung gehen. Wenn das Handy in der Rückentasche des Trikots ist, höre ich die nette Dame aber nicht. Was macht die Praktikerin in mir? Ich stecke das Handy in meinen BH, schließe den Reißverschluss des Trikots und bin stolz auf mich. Perfekt!
Der Blick eines Mitradlers, als es aus meinem Busen tönt: „rechts halten, dann links“ 🙂 Unbezahlbar!

Schließlich erreiche ich das Highlight des Tages. Blaubeuren. Sofort steuere ich den Blautopf an, die Quelle der Blau, und parke mein SUV Radl neben einer Gazelle. Der Blautopf ist wirklich sehenswert, falls man ihn zwischen den Touris überhaupt findet. In dem Gebirge um den Blautopf herum befindet sich ein großes, weitverzweigtes Höhlensystem, in dem große Wassermassen gesammelt werden und am Blautopf an die Oberfläche drängen. Es ist nach dem Achtopf die zweitgrößte Karstquelle Deutschlands. Bekannt ist der Blautopf für die, je nach Lichteinfall mehr oder weniger intensive, aber immer auffallend blaue Farbe seines Wassers. Sie entsteht durch einen physikalischen Effekt der Lichtstreuung (so genannte Rayleigh-Streuung) an den nanoskaligen Kalkpartikeln, die im Wasser verteilt sind.

Als ich zurück komme, hat sich eine in größere Diskussionen vertiefte Traube älterer Herren um die beiden Fahrräder gebildet. Der Herr mit der Gazelle mit einer Pinion Schaltung kommt auch gerade zurück. Was eine Freude!
„Den großen Zahnkranz brauchst du ja nie“
Ich: „Doch, ich will aufs Stilfser Joch.“
„Für den reicht die Kette gar nicht“
Ich „Doch, und wie die reicht, die dehnt sich“
“ Das ist aber viel Gepäck“
Ich: „Ja, leider, ist keine Tagesreise“
„Wo kommst her, wo willst hin“
Ich: „Transalblust“
„?????“
„Wo ist da der Motor“
die Gazelle: „der hat keinen“
“ Ah, und das da unten“
die Gazelle: „Das ist das Getriebe! Verschleißfrei, besser als Rohloff, aber gleiche Ingenieure“
„?????“
So schön und alle haben Spaß!
Ich besuche noch das Kloster und cruise ein bisschen lustlos durch die zweifellos schöne Altstadt von Blaubeuren.

Da ich noch nicht gefrühstückt habe, wird es jetzt höchste Zeit. 2 Ladys sehen mir das wohl an und empfehlen mir ein kleines Delikatessengeschäft. Schon bin ich drin und schwelge in den Auslagen. Der Besitzer ist sehr attraktiv und ausgesprochen charmant. Schnell stelle ich das Handy aus. Nicht auszudenken, wenn es plötzlich aus meinem Busen „Sie haben das Ziel erreicht “ tönt.

Das Essen ist echt lecker. Es gibt keinen einzigen Touri, und an der gegenüber liegenden Hauswand werde ich mit Seelenfutter versorgt.

Satt und zufrieden geht es kurz vor Blaustein links ab und dann sehr, sehr knackig wieder hinauf durch das kleine Lautertal auf die Hochebene der Schwäbischen Alb. Man sieht immer wieder Karststeine mit Höhlen. Auf eine Besichtigung verzichte ich angesichts der Temperatur.

Erst freue ich mich über Wolken, die die Hitze mildern.

dann habe ich es plötzlich ganz eilig.

Es war knapp, aber mein Radl und ich sind trocken angekommen, genießen den Anblick, als alles vorbei ist und freuen uns auf eine Abkühlung im Pilger-Landgasthof.

Transalblust IV

von Trochtelfingen nach Ehingen an der Donau

Bu, bum!!! Mit einem durchaus erwarteten und vorhergesagten Donnerschlag werde ich heute Morgen geweckt. In der Hoffnung auf Abkühlung, liege ich das aus. Ich bin ja immer sehr schnell radlfein, da im Moment meine einzige Kosmetik aus Voltaren Schmerzgel für mein Knie besteht.
So sitze ich kurz vor 10 Uhr auf dem Radl und es geht wieder hinauf aufs Bergle zur Nudelfabrik.

Die Hoffnung auf Abkühlung wird enttäuscht. Es ist jetzt Biosauna. Bald bin ich wieder im Wald und ein grandioser Radltag beginnt. Die frisch gewaschenen Bäume geben tatsächlich Kühle ab. Es ist Montag und ich bin allein. Der erste Radler begegnet mir nach 17 km. Ein Bähnle kommt gar nicht.

Auf feinsten Wegen radle ich auf und ab durch die Alb. Ein ganz wesentlicher Teil der buddhistischen Philosophie ist der Aspekt der Achtsamkeit. Man kann sich natürlich achtsam in Meditation versenken. Ich bin aber mehr die Praktische und so nutze ich solche Touren auch, um meine Sinne zu schulen. Natürlich will ich nicht stürzen oder mir den Reifen kaputt fahren, wenn ich ganz allein weit weg von der Zivilisation bin. Hier habe ich aber das Gefühl, ich muss auch gewahr werden, ob im dichten Unterholz ein Wolf, ein Bär oder eine Rotte Wildschweine auf fette (schließlich bin ich kurz vor einer Diät) Beute lauert. Und über mir kreist der Condor…

Vielleicht war es gestern doch ein bisschen zu warm, aber ich fühle mich hier einfach mitten in der Natur und als ein Teil von ihr.

Irgendwann gelange ich an die Lauter. Es ist ein wahr gewordener Radltraum. Hinter jeder Ecke gibt es etwas Neues und Schönes zu sehen Keinen Meter fahre ich auf einer Bundesstraße.

Idyllische kleine Orte hat man schnell durchquert.

Skurrile auch.

Schließlich komme ich zu einem Aquädukt, wo ein Teil des Lauterwassers abgezapft wird, um in früheren Zeiten eine nahe gelegene Mühle zu betreiben.

Und ja, ich habe es getan. Wer von euch hätte darauf verzichtet?

Die Radlerwellness ist aber auch dringend nötig. Es ist heiß und alle Biergärten haben Ruhetag. Echt dramatisch. Jetzt geht es steil bergab ins Donautal.

Ein bisschen ausgedörrt komme ich schließlich wieder an die Donau und den Luxusradweg mit „Tankstelle“

Das ist gut. Alles andere ist ein Kulturschock. Langweilige Landschaft, aggressive Autofahrer, Industrie. Genauso ist es, wenn man vom südlichen Schwarzwald an den Rhein kommt.

Da hilft nur ein Abstecher nach Munderkingen……

Das heutige Ziel ist Ehingen und ich habe angesichts der Temperaturen ein Hotel mit Klimaanlage gebucht. Nicht ahnend, dass ich im Zentrum der Ehinger Bierkultur lande.

Sogar das wirklich schöne Hotelzimmer ist designt wie ein Bierkasten und es gibt 50 verschiedene Biersorten in einer eigenen Bierkarte.

Ich bin völlig überfordert, da ich nur Alkoholfreies trinke. Kaum traue ich mich dem Kellner das zu sagen. Ich möchte mich bei solchen Touren ja auch gerne kulinarisch weiterbilden. Daher bestelle ich die Spezialität dieses ganz besonderen Hauses: „2 Naggete (Nackige) mit Spezialkartoffelsalat“. Mein Kopfkino schreit: Kannibalen!! Wer kennt sie nicht, die Donaukannibalen aus Ehingen, die Nackige futtern? Das Gericht entpuppt sich als Bratwurst ohne Haut mit einer säuerlichen Kartoffelmatsche. Na ja.

Es gibt noch einen völlig abgefahrenen Nachtisch, den ich unbedingt haben muss: Bierliköreis mit Bierlikör. Na ja.

Transalblust III

Von Sigmaringen nach Trochtelfingen

Gleich vier Flüsse – die Donau, die Lauchert, die Fehla und die Seckach – bestimmen den Verlauf der dritten Etappe von Sigmaringen nach Trochtelfingen. Los geht es in Sigmaringendorf an der Mündung der Lauchert in die Donau. Schnell tauche ich in eine Idylle am Fluss ein.

Bereits nach 10 km erlebe ich mein erstes Microabenteuer. Ich durchquere das Bittelschießer Täle, ein dicht verholzter kleiner Canyon der Lauchert. Gleich zu Beginn treffe ich auf die Bittelschießer Höhle.

Dann holpere ich irgendwie weiter. Hoffentlich halten die Taschen das aus, denke ich und schon stehe ich vor dem nächsten Hindernis.

Das wird nix! Da schickt mir das Schicksal ein Tandem (!!) mit zwei sehr hilfsbereiten Menschen vorbei. So kommt die Oma mit dem Gepäck auch über die Brücke. Danke! Das Abenteuer kann weitergehen.

Es bleibt harmlos und hinter dem Täle geht weiter hinauf auf die Schwäbische Alb. Die Macher von Transalblust waren der Meinung, dass die Radler ihrer Idee ALLE schönen Täler unbedingt sehen müssen. So weicht die Route auch von den klassischen Radwegen ab. Ich weiß jetzt, was in der Beschreibung mit MTB Strecken gemeint ist. Die Wege sind meist geschottert und gut zu befahren. Es ist wirklich idyllisch.

Aber es geht halt hinunter ins Täle und dann wieder rauf aufs Bergle und wieder ins Täle und noch ein Bergle.

Es ist heiß und ich finde, dass ich genug Bergle und Täle gesehen und erklommen habe. Und dann das:

Yess! Kein Problem für mich….ich fliege ins Städtle…geht doch.

Weit ist es jetzt nicht mehr und es kommt noch der Lauchertsee , frei zugänglich, mit Liegewiese und mein Badeanzug liegt griffbereit ganz oben..

Was für eine Enttäuschung! Das ist ein See zur Vogelbeobachtung! Vögel beim Fliegen zu beobachten ist das Allerletzte, was ich jetzt brauche. Grummelnd stelle ich mein Fahrrad ab. Es gibt zumindest eine Seeterrasse mit kühlen Getränken. Kaum sitze ich, kommt eine Radl-Omi und erklärt mir in einer Stimmlage, die keinen Widerspruch duldet, dass sie sich jetzt zu mir setzt, weil sie es hasst, allein am Tisch zu sitzen. Die ist ja pragmatisch, denke ich amüsiert, Sie kommt aus dem Nachbarort und findet sofort heraus, was ich hier mache, woher ich komme und wohin ich will. Ich nutze meine Chance und frage ihr komplettes Insiderwissen über die Gegend ab, besonders über die Nudelfabrik in Trochtelfingen und den dortigen Garten. Man muss einfach nur miteinander sprechen. Nett ist’s. Ein bisschen versöhnt radle ich weiter und Omi haut einen Opi an, der sich sofort zu ihr setzt 😉

Nachdem im Hallenbad des Hotels als Ersatz für die Lauchertseepleite meine Lebensgeister wieder erwacht sind, schwinge ich mich nochmal auf mein Radl. Ich erklimme wieder ein Bergle und besuche die Nudelfabrik „Albgold“, eine große, sehr moderne Anlage. Es gibt einen duftenden Kräuter und Gewürzgarten, in dem die Zutaten für allerlei Leckereien wachsen..

Außerdem einen großen Laden mit Köstlichkeiten, die ich leider nicht transportieren kann, und ein Restaurant. Das war meine eigentliche Motivation und ich werde nicht enttäuscht. Omi hatte gesagt;
„Do kannscht ach schee drauße na sitze“. Und wie schön!

Zufrieden rolle ich wieder ins Täle. Womit mal wieder bewiesen ist: Nudeln machen glücklich.

Transalblust I

von Albstadt-Ebingen nach Fridingen an der Donau

Endlich geht es wieder los! Eine Tour, die mir schon lange durch den Kopf geht, soll es sein – eine Durchquerung der Schwäbischen Alb von West nach Ost, von Albstadt nach Nördlingen. Findige Marketingexperten bezeichnen diese Tour als Transalblust. Lust habe ich schon. Ob mir die erhalten bleibt, werden wir sehen. Steht doch im Kleingedruckten und zwischen den Zeilen durchaus etwas von „stetiges Rauf und Runter“ und „MTB Tour“. Mal sehen, wie sich das für die Oma mit Gepäck anfühlt.

Los geht es damit:

Eigentlich ist das Argument für „Venezia“ immer ein Zuckertief nach vielen Radlkilometern. Nun bin ich aber noch keinen Meter geradelt. Allerdings habe ich eine 7-stündige Odyssee mit der deutschen Bahn hinter mir und ohne die Hilfe zweier junger, kräftiger Männer wären mein Radl und ich nicht in Albstadt. Außerdem droht gleich am Anfang der Tour ein kräftiger Anstieg in die Traufgang-Region im Zollernalbkreis. Ich finde, das sind genug Gründe. Und so geht es mit kaltem Bauch und kalten Muskeln tatsächlich ganz schön bergauf und schnell liegt Albstadt unter mir.

Die gute Nachricht ist, dass ich schon nach wenigen Kilometern den höchsten Punkt der gesamten Tour mit 940 Höhenmetern erklommen habe. Auf der Hochebene lässt es sich perfekt radeln. Ich genieße das Grün, das zu Hause nach wochenlanger Trockenheit so selten ist.

Dann geht es in fast alpinen Serpentinen wieder hinunter. In jeder Kehre steht ein Jesuskreuz, als ob man erst mal beten soll, bevor man vielleicht die Bremse ein bisschen zu locker lässt.

Ich erreiche das Tal der Bära und somit folge ich dem ersten Fluss der Tour. Einige sollen noch folgen und sie stellen einen der vielen Reize dieses sehr naturnahen Erlebnisses dar. Leise plätschert und gurgelt der Fluss neben dem Radweg. Genauso will ich radeln.

Ein Blick nach oben lässt erahnen, was mich hier erwartet.

Karstfelsen prägen zunehmend das Landschaftsbild. In Fridingen erreiche ich die Donau und es gibt schon wieder ein Novum. Ein Ruhetag nach einem Radltag! Ich möchte einfach für die traumhafte Gegend des Schwäbischen Gran Canyon ein bisschen mehr Zeit haben und das Hotel liegt auf einem Felsen und hat eine Sonnenterrasse und einen Pool 🙂 Ein Ruhetag wird es nicht, aber das weiß ich ja noch nicht. So schnaufe ich hinauf auf „meinen Felsen“. Als ich den Ausblick sehe, weiß ich, dass ich alles richtig gemacht habe.

Und als noch eine kleine Schmusebacke kommt, ist der Tag sowieso gerettet.

Das Frühstück auf der Sonnenterrasse ist verführerisch, aber ich gehe erst nochmal zum Aussichtspunkt, schließlich kommt das Licht jetzt von der anderen Seite.

Ein Traum und ich will mehr davon. Also frage ich den jungen Mann an der Rezeption, ob man mit dem Fahrrad die beiden Top-Aussichtspunkte „Rauher Stein“ und „Eichfelsen“ erreichen kann. Er schaut mich an, als hätte er den Teufel persönlich gesehen. Davon hätte er noch nie etwas gehört, sagt er. Jetzt schaue ich ihn an, als hätte ich den Teufel persönlich gesehen.
„Hey, Junge, das ist keine 10 km von hier weg. Schau dich um in der Welt und nicht nur auf dein Display“ denke ich und, als hätte er es erraten, hat er eine Problemlösung parat: „Ich rufe meinen Opa an“.
Noch bevor ich widersprechen kann, wird um 07:30 Opa aus dem Bett geklingelt. Der erweist sich als hochkompetent und ich bekomme eine genaue Beschreibung davon, was ich tun soll und was ich auf gar keinen Fall tun darf. Und los geht`s mit dem Insiderwissen und einem herzlichen Dankeschön. Opa hat natürlich Recht und es ist ein Traum

Ich bin allein an diesen wunderbaren Orten.

Steil radle ich auf Schotter durch den Wald wieder hinunter ins Donautal. Schrecklich! Hätte ich nur die Straße genommen oder vorher Opa gefragt! Das Ziel ist das Kloster Beuron.

Es ist ein sehr tradiertes Benediktinerkloster, in dem noch rund 40 Mönche leben mit einem großen Gäste- und Seminarhaus. In der Klosterkirche ist es ganz still.

Nur ein Mönch ist zugegen, als ich die wunderschöne Gnadenkapelle betrete.

Plötzlich läuten die Glocken, Geistliche und Mönche betreten die Kirche und nach und nach kommen Gläubige. Es findet eine Heilige Messe am Herz-Jesu Tag statt, und Oma Carmen und Opa Erwin feiern ihre Goldhochzeit. Ich kann nicht widerstehen und bleibe. Wer auch immer dafür zuständig ist, möge mir verzeihen, dass ich aus kulturellen Gründen und nicht aus religiösen geblieben bin. Ich verdrücke mich in eine Ecke, da ich ja nicht so genau weiß, was man bei einer solchen Messe gerade machen muss. Aber ich genieße diese ganz besonderen Momente mit den mönchischen Zeremonien und der Andacht der Menschen wirklich.

Beseelt und ein bisschen nachdenklich radle ich über eine alte Donaubrücke.

Der Radweg könnte hier nicht schöner sein.

Dauernd muss ich anhalten und schauen. Ich beschließe, den Ruhetag, der schon lange keiner mehr ist, in „Zeittag“ umzubenennen. Ich habe einfach Zeit, muss nirgendwohin und kann stehen und staunen solange ich will. Großartig.

Was ich aber auf jeden Fall noch bestaunen will, ist die „Donauversinkung“ Das ist ein auf der Welt einzigartiges geologisches Phänomen. Durch das sehr poröse Karstgestein kommt es, dass an manchen Stellen bis zu 400 Liter Donauwasser pro Sekunde (!!) im Boden versinken und das Flussbett im Sommer trocken gelegt wird. Das Wasser fließt unterirdisch nach Süden und kommt an Deutschlands wasserreichster Quelle, dem Achtopf wieder zu Tage. Von dort fließt ein Teil des Donauwassers in den Bodensee und den Rhein und somit zur Nordsee und nicht zum Schwarzen Meer. Spannend. So empfinde ich das jedenfalls und muss es sehen. Da es für meinen Zeittag zu weit weg ist, bringt mich die Deutsche Bahn nach Tuttlingen und ich radle weiter in die Versinkung. Und tatsächlich sieht man, dass man nichts sieht außer einer Pfütze.

Ich spaziere ein wenig durch das Bett der Donau und bin beeindruckt, was die Natur alles zustande bringt. Im Winter ist hier die Donau.

Ich bin allein. Hunderte von Fernradlern kommen hier vorbei und keinen interessiert’s. Warum eigentlich nicht? Vielleicht ist das nur was für Naturwissenschaftlerinnen mit Zeittag? Nur ein knutschendes Pärchen sitzt in der Nähe auf einer Bank. Dem unterstelle ich aber einfach, dass es da um eine anderen Art von Versinkung geht.
Ich radle nun den Donauradweg zurück und bewundere das Rathaus in Möhringen.

Und schon stehe ich am Pranger. Es gibt ein Schild „Benutzung auf eigene Gefahr“. Das Risiko wäre ich gerne eingegangen, aber er ist leider abgeschlossen.

In Tuttlingen hat die Donau schon wieder Wasser, da in vergangener Zeit, die Müller und Gerber dafür gesorgt haben, dass ein Teil es Donauwassers vor der Versinkung umgeleitet und dann wieder zugeführt wird, damit sie ihre Mühlen betreiben und ihre Häute waschen konnten.

Da mein Zeittag inzwischen zu einer 65 km Radltour geworden ist, gibt es ein Zuckertief und Zack….Venezia!

Ich belege den letzten freien Tisch. Zwei ganz zauberhafte Radl-Opas und eine Radl-Oma gesellen sich zu mir und wir haben eine sehr gute gemeinsame Eiszeit. Es ist Opa-Tag.
Für mich geht es dann auf traumhaften Radwegen weiter gen Osten zurück nach Fridingen wo es eine weitere Versinkung gibt, die aber nicht so deutlich zu sehen ist.

Beim Abendessen beschließe ich, dass ich nochmal wiederkommen muss. Die haben doch hier tatsächlich einen Wurstsalatradweg.