Superlative und ein klitzekleiner Wunsch
Hier in der Gegend wimmelt es nur so von Superlativen und so muss ich einfach mal vom rechten Weg (dem Innradweg) abkommen und Burghausen besuchen, denn hier gibt es die längste Burganlage der Welt. 1051 Meter nur Burg!
Zunächst radle ich nach Österreich und schaue mir das Stadtbild von der österreichischen Seite der Salzach an und ich kann es kaum glauben. Die Burg zieht sich über den gesamten Berg hinter der Stadt.Adalbert Stifter soll gesagt haben:“Die Stadt sieht nicht anders aus, als wäre sie aus einem altdeutschen Gemälde ausgeschnitten und hierher gestellt worden“
Damit hat er zweifellos Recht.Die Altstadt erstreckt sich lang und sehr gepflegt am Fluss entlang.
Radelt man auf der deutschen Seite an der Salzach nach Norden, kommt man zu einem kleinen Canyon und hat einen tollen Blick auf die Burg.
Die Burganlage darf man auch mit dem Fahrrad erkunden, was aufgrund der Größe durchaus angenehm ist.
Ich bin wirklich sehr beeindruckt.
Da war ich auf der Chinesischen Mauer und in Machu Picchu und das hier ist mir bisher entgangen. Das ist ein echtes Versäumnis. Jede Menge gut erhaltene und restaurierte Burg.
Großartige Ausblicke eröffnen sich auf die Stadt und in die Umgebung.
Hier gibt es auch keinerlei Fake. Es ist Mittagszeit, ein Imbiss winkt und ich freue mich auf eine Leberkässemmel.
Eine freundliche Dame haut eine Scheibe Discounteretwas MIT der Semmel in die Microwelle und Senf kostet extra. Hier wird wirklich gefoltert!!!
Mit einem guten Rat, der sicher auch für Stahlrösser gilt, mache ich mich auf den weiteren Weg.Der Plan ist, auf dem Burghausen-Altötting-Radrundweg zum nächsten Superlativ zu radeln, was eigentlich ganz schön anfängt.
Rund um Burgkirchen lässt die Schönheit rapide nach. Die Menschen, die hier in einer so spirituellen Gegend wohnen, scheinen nicht besonders kreativ zu sein, was Orts- und Straßennamen betrifft. Statt ihr Heim Himmelfahrtshausen, oder Erlösungsberg oder ein bisschen profaner vielleicht Frischlufting zu nennen, sind sie bodenständig und sagen wie’s ist.
Wenigstens sind die Hühner glücklich.
Auf dem Weg nach Altötting muss man immer nur den Kirchtürmen folgen. Es ist einer der bekanntesten Wallfahrtsorte in Deutschland und in Europa. Die schwarze Madonna in der Gnadenkapelle wird in einem Atemzug mit jenen in Lourdes und Tschenstochau genannt und entsprechend viele Pilger kommen hierher. 1 Million soll es pro Jahr sein. Der Ort ist das Zentrum eines Pilgerwegnetzes. Der Legende nach wurde ein scheinbar ertrunkenes Kind wieder lebendig und hat damit das Wunder von Altötting begründet.
Als ich den Kirchplatz in Altötting betrete, schlägt mir ganz intensiver Weihrauchgeruch entgegen. Ich schlendere am Rand des Platzes an den Devotionalienläden entlang.Mir fallen sofort ein Buch und eine sehr beeindruckende Autorenlesung in Frankfurt vor einigen Jahren von und mit Andreas Altmann ein: „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“. Eine Autobiographie, die sein Leben in den Nachkriegsjahren in Altötting beschreibt. Sprachgewaltig und schonungslos. Das Buch hat einen Platz in meinem Schätzchen-Bücherschrank erhalten. Was gibt es in der Literatur Schöneres als Autoren, die durch die Macht ihrer Sprache hochemotionale Bilder im eigenen Kopf entstehen lassen, die nachhaltig wirken, die zum Denken anregen und die Lust auf mehr machen? Das Schöne am Reisen ist, dass diesen Kopfbildern, wenn es sich um Realliteratur oder Reiseliteratur handelt, visuelle Bilder, Gerüche und Geräusche hinzugefügt werden können und dass die Bilder damit komplettiert werden.
Hier habe ich gerade einen Kloß im Hals und beschließe, das Buch nochmal zu lesen.
In einem der Läden kaufe ich 2 Schlüsselanhänger mit Schutzengeln für den motorradfahrenden Liebsten und das motorradfahrende Kind. Sicher ist sicher. Man weiß ja nie, wer am Ende Recht hat.
Das Wirtshaus an der Kirche ist hier natürlich auch ein Superlativ. In Gelb, wie immer.Als ich weiter schlendere kommt ein strahlend lächelnder, junger Mann von einem Stand der Pilgerbetreuung auf mich zu und hält mir eine Kiste mit Losen hin.
Oh, kann ich hier was gewinnen???
Er fragt mich ob ich einen Bibelspruch ziehen möchte. Das passiert mir als seit 40 Jahren Abtrünnige der Kirche und ständig kritisch Hinterfragende! Ich zögere einen Moment und frage den jungen Mann, ob er das nicht für mich tun könnte, da er vielleicht das bessere Händchen hat. Nein, sagt er, das muss jeder für sich tun. Ist ja auch klar. Das hat vielleicht was mit Eigenverantwortung zu tun. Aber war die nicht bei den Christen abgegeben worden an die übergeordnete Instanz? Egal! Ich überlege, dass letztlich Nirvana, das Himmelreich und das Paradies mit den Jungfrauen sowieso das Gleiche sind und greife zu.
Wenig später spricht mich ein anderer junger Mann mit dem gleichen Angebot an. Ich erkläre ihm, dass ich schon einen Spruch habe, dass ich aber gerne nochmal würde, um mir dann den Besseren auszusuchen. Er lächelt barmherzig und kann mir den Wunsch nicht verwehren.Ich mache dann doch lieber Sightseeing.
Bei Schuhbeck’s gönne ich mir einen wirklich leckeren Frozen Joghurt. Es gibt hier nämlich neben all den Kerzen, Kreuzen, Rosenkränzen und Heiligenbildchen ein Geschäft mit Schuhbeck’s Gewürzen. Sie sind einfach anders, was selbstverständlich den hohen Preis rechtfertigt. Das ist ganz schön clever, so einen Laden an einem Ort maximaler Gläubigkeit zu haben.
Schließlich betrete ich noch die Gnadenkapelle, einer der ältesten Sakralbauten Deutschlands, wo zufällig eine Andacht stattfindet. Hier ist die Atmosphäre eine völlig Andere.
Selbst ich werde bei dem Anblick der Maria und angesichts der Stimmung der Gläubigen, die sehr hingebungsvoll das „Salve Regina“ singen, ein bisschen demütig. Schließlich sende ich auch einen Wunsch an die Madonna, aber nur einen Klitzekleinen.
Viele Gläubige kommen hierher, um Heilung von Krankheiten zu erbitten oder um sich für ihre Heilung oder die ihrer Angehörigen zu bedanken. Von der Macht dieses Glaubens zeugen die zahlreichen, selbst gestalteten Votivtafel an der Kapelle, die so viel Schicksal und Dankbarkeit wiederspiegeln. Wie gut, dass es diese Madonna gibt. Wer heilt hat Recht.
Der Rückweg verläuft wesentlich angenehmer als der Hinweg, meistens durch Wald oder Weidelandschaft und ist schön bunt. ER begleitet einen hier allerorten.
Kurz vor Burghausen werde ich nochmal massivst ausgebremst und allerliebst beschmust.
Was für ein schöner Abschluss für einen Tag der Superlative!